Dienstag, März 21, 2006

"Wir sind gar nicht so viele Eltern..." -- Für alle meine Brüder und ganz besonders den einen

Das sagte meine Mutter heute, als mein kleiner Bruder forderte: "Ich will auf dem Sofa mit allen Eltern kuscheln!", was im ersten Moment logisch klingt, erscheint mir im zweiten gar nicht mehr so richtig. Kommt eben darauf an, wie man Eltern definiert. Ich denke, wir alle: Oma, Johannes, Mama, Papa und ich erziehen ihn gemeinsam. Und ich kann jetzt vielleicht ein bisschen besser nachvollziehen, warum mein großer Bruder bestimmte Sachen gemacht hat...
Aber damals hab ich ihn gehasst dafür. Habe ihn gehasst, als ich sturzbetrunken durchs Kreuzer steuerte und er meinen Becher Wasser wegkippte, weil er dachte, es sei Wodka. Habe ihn gehasst, wenn er gewichtig meinte, ich sollte nicht so viel rauchen, obwohl er selbst rauchte. Wenn er bezweifelte, dass meine Freunde gut für mich waren. Ich habe ihn gehasst, als er meine Musik mit abfälligen Bemerkungen abtat. Ich habe ihn gehasst, als er nach meinem ersten Auftritt sagte, die guten Dinge wären ja erst danach gekommen und es war mir egal, ob er Recht hatte, oder nicht. Ich habe ihn gehasst, wenn er sich zu meinen Freunden mit einlud, währenddessen aber behauptet, ich hätte ja gar keine richtigen oder keine netten, oder wie auch immer er es sagte. Habe ihn gehasst, als er mich Illusionistin nannte, als er mich schrecklich naiv schimpfte. Und ich habe ihn gehasst, in jedem Moment, in dem er fragte, warum ich eigentlich den ganzen "Schrums" schreibe und was das mit den Liedern soll.
Ich habe ihn gehasst, weil er mich so häufig in Frage stellte. Und ich ihn nie. Ich hab ihm nicht vorgehalten, dass er nicht bei seinem letzten Schultag-Spaß war, auch wenn es mich wahnsinnig irritiert hat. Ich rege mich nicht darüber auf, wenn er schon wieder sagt, dass er Pizza-Taxi fahren möchte, auch nicht, wenn er sagt, dass er nicht weiß, was er studieren soll, nicht als er meinte, er wolle gar nicht studieren. Es war eben seins. Sein Leben. Und er mein Bruder. Ich habe nie gesagt, dass er emotional immer total in die Defensive geht, weil ich weiß, dass ihn das kränkt, fand längst nicht alle Musik, die er hörte schön, sah mich aber nicht zum zwanghaften Nörgeln gedrängt, ich habe all seine "Auto Motor Sport" Sendungen nie als Scheiß bezeichnet, auch wenn ich sie zum kotzen fand. Weil er mein Bruder ist. Der, den ich respektieren, den ich liebe und der es noch immer geschafft hat. Noch immer.
Vielleicht habe ich ihn deswegen auch gehasst. Weil er immer schon die Verantwortung übernommen hat, weil er Nebenjobs bekommt, wo ich nicht einmal peripheres Wissen anbieten kann, weil er immer Geld hat und ich nie, weil er nie der Unzuverlässige war, weil er nie irgendwas unter den Teppich gekehrt hat, auch wenn es ihm nicht gefiel... vielleicht auch deswegen. Wer weiß das schon so genau?
Vielleicht konnte ich nie so recht glauben, dass zwei so verschieden sein können, die aneinander, miteinander gewachsen sind, zwei, die dieselben Gute Nacht Geschichten hörten und sie sich später gegenseitig vorlasen, zwei, die einen so ähnlichen Weg hatten, zwei, die jeden Schritt gegenseitig beobachteten, zwei, wie wir eben... Vielleicht kann ich das immer noch nicht so richtig fassen... dass wir so verschieden sein sollen.

Und so suchte ich mir noch andere Brüder. Jungs, die weiterhin auf mich aufpassen würden, wenn du weg wärst, welche, die mich weiterhin in Frage stellen und die ich auch in Frage stelle, Brüder, für die ich genau so viel geben würde, wie für meine leiblichen. Brüder, die nicht so verdammt bescheiden sind, wie du, Hannes, oder so jung, wie Jan-Friedrich, oder so fort, wie Carl-Dietrich. Ich habe mir Brüder gesucht, die so launisch sind oder so besserwisserisch und in vielerlei Hinsicht denen sehr ähnlich, die ich ja schon hatte und doch ganz anders. Brüder, die nicht immer alles richtig gemacht haben, was ich falsch gemacht habe, solche, die mich vielleicht auch einfach so respektieren, wie ich meine Brüder respektiere und immer respektiert habe, egal ob ich sie hasste, oder nicht.

Und es ist nicht so, als wäre Dennis der erste gewesen, oder Friedemann... das hat doch alles viel früher angefangen... vielleicht damals mit Franz, danach kam Ronald und später war es Patrick und dann viel zu lange niemand... viel zu lange... fast wäre ich daran vergangen... nur die Mädels mit ihrem wöchentlichen Kleinkrieg, das war nicht genug. Und dann kam Friedemann und dann Dennis und ich weiß, es werden noch mehr kommen, weil ich weiß, dass Brüder ein hohes Gut sind und ich habe das durch keinen anderen erfahren, als meinen großen Bruder, auch wenn wir sind, die wir sind. Und auch wenn das eben unsere Beziehung zu einander zu dem gemacht hat, was sie jetzt ist:
Er, der große Realist, der praktisch Begabte, der sich organisieren konnte und irgendwie doch immer wusste, was er wollte, was er konnte und wie weit er damit kann. Ich, die kleine Träumerin, die eher künstlerisch-sprachlich Begabte, die Angst vor allem hatte, das sie mit Menschen klären musste, die sie nicht kannte und die sie nicht kannten, die immer alles wollte, meistens nicht viel konnte und überhaupt nicht mehr wusste, wo es lang ging... Und ich dich für deine Bodenständigkeit bewundernd und du mich für meine Abgehobenheit oder Lebensuntüchtigkeit verachtend. Weil wir sind, die wir sind. Vielleicht konnte ich das nur nie so richtig glauben.

Und es nicht so wichtig, dass das einer meiner Brüder liest, wohingegen es sehr wichtig für mich war, es zu schreiben. Sollte ich euch gelangweilt haben, so tut es mir Leid. Und ich weiß, dass Hannes nie über so etwas geweint hätte, aber ich tue es. Weil wir so verschieden sind, so verschieden... dabei sind wir doch so ähnliche Menschen... oder haben das alle immer nu so gesagt? Hat das am Ende niemals gestimmt?

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