Ich habe heute Abend ein wenig Rückblick gehalten auf der Suche nach Erklärung für diese ständige innere Unruhe:
Als ich nach Leipzig kam, war die Angst schon da. Ich brachte sie mit, wie eine Paar Schuhe, das ich immer trug, wohin ich auch ging. UNd ich hielt sie in Schach, diese innere Unruhe, übertönte sie in durchwachten Nächten, in den Straßencafés oder den Vorlesungen. Ich ertränkte sie in dem Rauschen, das Leipzig war. Und es funktionierte eine Weile lang.
Im Oktober mit zittrigem Atem am Leipziger Bahnhof sagte ich mir: Ist schon gut. Ist ja alles neu, da ist das so. und das, obwohl ich wusste, dass diese Angst mir schon seit März auflauerte. Diese Angst, von der ich noch wenige Wochen zuvor geschrieben hatte, dass ich mich freute mit offenen Armen in sie hineinzufallen und die ich dann doch immer weiter von mir wegschob -Keine Zeit! - und die dadurch nur drängender an mein Herz schlug.
Ich hatte den Glauben an das NichtAlleinsein in Allem verloren. Es kam mir vor, als taumelte ich auf gebrochenen Beinen einen unbekannten Weg entlang. Ich hatte unglaubliche Angst. Beim Gang zum Arbeitsamt, beim Bewerbungen schreiben auf Mini-Jobs und Studienplätze und es kam mir auch nicht so vor, als hätte ich jemanden fragen können, wie denn all das funktioniert... schließlich hatte ich ein Abitur, das mich fürs Leben qualifizierte - und den irrsinnigen Anspruch an mich selbst, das Meiste schon wissen zu müssen.
Und so starb ich leise vor mich hin. Denn ich wusste nichts und ich glaubte, für mein Umfeld, meine Eltern, meine Brüder müsse das eine unglaubliche Enttäuschung sein. Ich konnte nicht sagen: "Zeig mir, wie die Welt funktioniert." oder meine Mutter dazu auffordern verdammt nochmal mitzukommen, als ich zum ersten Mal in diese große neue Stadt fuhr und meinen ersten eigenen Mietvertrag unterzeichnete... Ich konnte sie nicht bitten mitzukommen, nachdem wir als ganze Familie mit meinem Bruder wegen eines Wohnheimplatzes nach Dresden gefahren waren, obwohl er lieber alleine gefahren wäre, ich konnte es nicht einfordern, wenn es mir nicht angeboten wurde, meine Eltern also dachten, ich käme schon alleine klar. Und so schluckte ich und fuhr und machte mir Leipzig Untertan und es funktionierte so lang, wie man eben damit leben kann, dass man sich nur selbst Mut zuspricht und denkt: >Vielleicht habe ich nicht alles gut gemacht, aber ich habe das alles allein gemacht, bis hierher bin ich gekommen - mit meinen eigenen Füßen.<. Es funktionierte eine ganze Weile. Obwohl natürlich Nichts davon stimmte: Ich hatte es nicht alleine gemacht. Niemals wäre ich bis dorthin gekommen ohne meine Familie und doch konnte ich es ihnen nicht zugestehen. Sie hatten mich auf meinen eigenen Weg entlassen und meine Unsicherheiten waren ab jetzt meine Sache, also - so schloss ich - verhielt es sich mit den Erfolgen genauso.
Ich hörte auf, Anrufe von zu Hause zu erwarten. Es war ja nicht so, als interessierten, sie sich nicht für mich, es war nur eben schwierig, die gleiche Anspannung und Aufregung, die man beim Auszug des ersten Kindes wenige Wochen zuvor an den Tag gelegt hatte, jetzt wieder neu zu zelebrieren. 2 Anrufe in der ersten Woche reichen ja auch aus, ist ja alles kalter Kaffee[hier nicht falsch verstehen, 2 Anrufe die Woche wäre mir jetzt in dieser Zeit doch übertrieben, aber in der ersten Woche scheinen die Tage oft selbst wie Wochen und 2 Anrufe irgendwie zu wenig... wahrscheinlich hätte ich selbst anrufen müssen]. Ich konnte nachvollziehen, dass das weniger ein bewusster Entschluss war, als eher eine veränderte Grundstimmung in der Familie zu Hause, die Ähnliches doch kurz zuvor mit Johannes erlebt hatte... zumindest in meinem Kopf konnte ich es nachvollziehen. Anderswo bot sich nicht viel Platz für Verständnis dafür, dass niemand ahnte dass jeder Tag einem Spießrutenlauf glich... andererseits - wie sollten sie auch? Ich hatte ja nichts gesagt.
Was hätte ich auch anderes sagen könne als "schön", auf die Frage, wie Leipzig denn sei? Denn es war ja schön, beinahe wunderschön! Wie hätte ich sagen sollen: "Es ist grandios und... du wirst es wahrscheinlich nicht verstehen, weil du schon weiter bist, vielleicht zu weit weg, aber es sind meine ersten Schritte und ich habe wahnsinnige Angst, Alles vor den Baum zu fahren!"... ich wusste nicht wie, also ließ ich es aus.
Und meine Eltern wussten vielleicht nicht, wie sie sagen sollten: "Wir vertrauen darauf, dass du es gut machen wirst. Aber selbst wenn alles schief geht und der Himmel dir auf den Kopf zu fallen droht, richten wir dich wieder auf und helfen dir nochmal neu loszugehen."
Und so hofften wir uns vielleicht vom jeweils anderen verstanden. Aber es hat nicht so richtig funktioniert. Wir waren mit unseren Gedanken doch allein.
Hiermit beantrage ich für mich Verlängerung und eine letzte Chance in der Hoffnung, dass "Ziemlich spät" vielleicht noch nicht "zu spät" ist. Denn ich sitze an meiner Cicero-Hausarbeit noch mit derselben Angst. Aber das könnte sich ändern ab heute, denn ich bin jetzt soweit.
Ich muss euch nichts beweisen und ihr seid trotzdem noch da. Und manchmal wäre es gut, wenn nicht nur ich alleine aktiv ausdrücken würde, dass ich an mich glaube.
Denn ich weiß noch immer fast nichts von der Welt. Und das ist okay. Ich bin doch gerade erst ein Jahr hier draußen, woher soll ichs denn wissen?
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Woah, ich hab so lange hier nichts mehr gelesen. Sollte mir mal eine Erinnerung oder sowas setzen, dass ich bei dir öfters mal reinschaue.
AntwortenLöschenDas, was du da schreibst, ist beängstigend... ähnlich dem, was ich schon öfter dachte.
Es ist schon komisch, man tritt hinaus in diese große Welt und weiß doch eigentlich gar nichts davon - zeitgleich ist man aber selbst so (oder zu?!) stolz um zuzugeben, dass es so ist. Ebenso verhält es sich mit den Erwartungen, die andere an einen stellen.
Wir lernen so vieles in der Schule, rechnen, schreiben, Wissen über das, was früher so war... aber WIE die Welt funktioniert, das bringt einem nur die Welt selbst bei, mit Hilfe kann man eigentlich nicht rechnen. Sie kommt meist unerwartet oder wenn man darum bettelt.
Aber wie du schon sagst, es ist nicht leicht, zuzugeben, dass man Hilfe braucht. *seufz*
Is schon nich leicht, ne?